Neuanfang vor 70 Jahren

Neuanfang vor 70 Jahren

  Der Industriestandort Ludwigsfelde

 

Am 1.März 1952 war es soweit. Die Volkseigenen Industriewerke Ludwigsfelde (IWL) wurden gegründet.

Auf einem Teil des ehemaligen Motorenwerkes bauten bis zu 3600 Bauarbeiter innerhalb von zwei Jahren einen Industriekomplex von

10 Fertigungshallen auf. In diesen sollten große Schiffsdieselmotoren in Serie gefertigt werden. Als erste Fertigungsstätte wird die Halle 11, - eine Halle 10 wurde nie gebaut -, im Dezember 1953 eingeweiht. Im darauffolgenden Jahr wurden die Arbeiten am Schiffsdiesel abrupt eingestellt. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung, am 17. Juni 1953 zum Ausdruck gebracht, erwirkte ein Umdenken der staatlichen Wirtschaftsführung. In der Folge sollten mehr Güter für den Bedarf der Bevölkerung hergestellt und der Industriebedarf eingeschränkt  werden. Für die Industriewerke eine völlige Umstellung.

Das vorgegebene Fertigungsprogramm für 1953 forderte die Lieferung von: 

           Seitenbordmotor „Sachs“,1,2 PS                                             

           Außenbordmotor 4,5 PS                         

           Fahrradhilfsmotor                                                                   

           Außenbordrennmotor 12 PS                                                   

           Motorroller                                                                             

Der bereits vorhandene bzw. georderte Maschinenpark für Großdiesel musste angepasst, Fertigungslinien und –technologien neu gestaltet werden. Die Konstruktion der neuen Erzeugnisse, deren Erprobung und Fertigung benötigte Zeit. Eine vorübergehende Auslastung der Produktionskapazität war erforderlich und führte zu einem „Dienstleistungskonvolut“. Hinzu kamen ständige Veränderungen der geplanten Erzeugnispalette im Jahr 1954/55. Von den zuvor genannten Erzeugnissen brachte die Entwicklungsabteilung Außenbord- und Seitenbordmotor zur Fertigungsreife, doch dann erfolgte eine Produktionsaufnahme in einem anderen Betrieb.

 

Der Fahrzeugbau begann in Ludwigsfelde 1954 im Rahmen der Auslastung mit der Montage der „Dieselameise“, einem Transportkarren analog den bisher in der Industrie benutzten Elektro-Karren. Motor, Getriebe und Achsen kommen von Zulieferern, viel Fertigungskapazität benötigte das Werk also nicht. Nach der Montage von ca. 1420 Stück wurde dieses Produkt 1956 in das Fahrzeugwerk Waltershausen/Thüringen verlagert, da in Ludwigsfelde nun Fertigungskapazität für Strahltriebwerke benötigt wurde. Vom vorgegebenen Fertigungsprogramm blieb damit nur der Motorroller übrig.

Dieser machte das Werk und damit Ludwigsfelde bekannt. Erst mit kritischen Bemerkungen, da ein unrealer Termin in den Printmedien zur Auslieferung des ersten, von der Bevölkerung sehnsüchtig erwarteten, Motorrollers vom Typ Pitty nicht eingehalten wurde. Dann aber mit viel Aufmerksamkeit nach Serienanlauf im Febr.1955. Es folgten bis 1964 die Typen Wiesel, Berlin und TROLL. Insgesamt 239 144 Stück.

Eine Produktion mit erhoffter Zukunft bekamen die Industriewerke 1957 mit der Fertigung von Strahltriebwerken für die zivile Luftfahrt. Die Serienfertigung des Strahltriebwerks vom Typ „Pirna 014“ war ab 1959 vorgesehen. Aber bereits Anfang 1961 endete diese, da die DDR keine erweiterte Flugzeugproduktion aufnahm. In einem Teil des Werkes wurden weiterhin Strahltriebwerke für die Luftstreitkräfte der DDR repariert. Dieser Betriebsteil wird 1965 selbständig als Werk 2 des VEB Flugzeugwerk Dresden und 1971 mit dem gleichen Produktionsprofil in VEB Instandsetzungswerk Ludwigsfelde umbenannt.  

Mit Einstellung der Triebwerkfertigung standen die Industriewerke vor einem erneuten Umbruch. Kapazitätsauslastung war erforderlich. Mit der Montage eines Allrad- Personenwagens (Kübelwagen) vom Typ P3 ab 1962 gelang dies teilweise. Dieses in Chemnitz entwickelte und dort bisher produzierte Fahrzeug blieb bis 1965 in der Fertigung. Insgesamt ca. 3050 Fahrzeuge verließen das Werk.

Eine Besonderheit begleitete die Lehrausbildung im Industriewerk ab 1957. Außenbord- Rennbootmotore der Klasse J (Junior), einen 175 cm³ Zweitaktmotor, fertigte die Lehrwerkstatt in Kleinserie, auch für den Export. Mehrere Medaillen bei Euromeisterschaften und der absolute Geschwindigkeits- Weltrekord dieser Klasse zeugen von der Wettbewerbsfähigkeit. Mit insgesamt 2150 Stück, einschließlich einer ab 1963 zusätzlich produzierten 250 cm³-Type, endete die Produktion 1965. Die in der Lehrwerkstatt vorhandene Kapazität wurde ab 1966 für den LKW- Bau benötigt.

 

Die Industriewerke Ludwigsfelde bekamen 1962 die Aufgabe, eine Großserienfertigung von mittelschweren Lastkraftwagen aufzunehmen. Erhebliche Baumaßnahmen begannen. Die Motorrollerproduktion endete 1964 aus Kapazitätsgründen. Am 17.Juli 1965 verließ der erste Lastkraftwagen vom Typ „IFA W50“, entwickelt in Werdau/Sa. und in Ludwigsfelde den neuen Montagebedingungen konstruktiv angepasst, das Montageband. Gleichzeitig wurde das Werk in  VEB IFA Automobilwerke Ludwigsfelde umbenannt.

Der Bedarf an Neufahrzeugen war im Land riesig, doch Vorrang hatte der Export. Ob Straßen- oder Geländevariante, für den Einsatz im hohen Norden oder in Afrika, mit Sonderaufbauten für die vielfältigsten Einsatzzwecke, was der Exportkunde wünschte, wurde nach Möglichkeit verwirklicht.

Eine leistungsfähige Entwicklungs- und Versuchsabteilung arbeitete an Neuentwicklungen, die Fertigungsvorbereitung entwickelte neuartige Fertigungsabläufe und eine hoch moderne Schmiede fertigte die benötigen Schmiederohlinge für den Fahrzeugbau.

Bereits 1966 entstanden Prototypen eines möglichen Nachfolgers für den IFA W50 in Ludwigsfelde.

Denen folgten in den Jahren danach mehrere Entwicklungen mit den Typbezeichnungen 1013, 1118 und L60. Fahrzeuge der Nutzmassenklasse über 6 t durfte die DDR auf Beschluss des RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) nicht bauen. Dennoch unternahm das Ludwigsfelder Management mehrere Versuche, diesen im Transportwesen benötigten LKW entwickeln zu dürfen. Vergeblich. Aber auch die bis zur Serienreife erprobten Fahrzeuge der 6 t- Klasse konnten nicht in die Serie überführt werden. Es fehlte an Investitionen. Als dann endlich 1986 mit dem IFA L60 (das L von Ludwigsfelde, 60 für 6 t) ein neues Fahrzeug in Serie ging, sah der oberflächliche Betrachter keinen Unterschied zum bereits über zwanzig Jahre gebauten IFA W50. Das Fahrerhaus hatte verblüffende Ähnlichkeit mit dem letztgenannten. Auch ein Kompromiss, um die Investitionen gering zu halten.

Um Kräfte zu bündeln und flexibler reagieren zu können, bildete die staatliche Wirtschaftsführung 1979 Kombinate, eine einer Konzernverwaltung ähnlichen Struktur. Der Firmenname lautete nun:   

VEB IFA Automobilwerke Ludwigsfelde Stammbetrieb des VEB IFA- Kombinat Nutzkraftwagen Ludwigsfelde.

Die IFA Automobilwerke Ludwigsfelde exportierten ihre LKW in zahlreiche Länder der Erde. Neben China und der Sowjetunion sind Ungarn, Tschechoslowakei, Polen, Irak, Iran, Vietnam und Angola Hauptabnehmer. Aber auch Mocambique, Äthiopien, Sambia, Jemen, Nikaragua, Madagaskar und Cuba haben bedeutende Stückzahlen importiert.

Bis zur Einstellung der Produktion der IFA- LKW im Dezember 1990 fertigte das Werk 592.124 LKW

davon 571.331 IFA W50 und 20.293 IFA L60,   von denen 71,6% in 53 Länder auf vier Kontinenten exportiert wurden.

Die Anzahl der Beschäftigten betrug im Juli 1990 insgesamt noch 8.334 Mitarbeiter.

 

Die Wende

Einen Neuanfang ermöglichte ein „Memorandum of Understanding“ vom März 1990 zwischen IFA Kombinat Nutzkraftwagen und Mercedes- Benz AG. Mit Gründung der „Nutzfahrzeuge Ludwigsfelde GmbH“ (NLG) Anfang 1991 wurde die Montage der Leichten Reihe LKW

(LN 2) von Mercedes- Benz in Ludwigsfelde möglich. Ab September 1991 folgte eine zweite Baureihe, der große Transporter „T2“, der in der ebenfalls 1991 gegründeten „Entwicklungsgesellschaft für Kraftfahrzeugtechnik Ludwigsfelde mbH“ (EGL), -hervorgegangen aus dem Direktionsbereich Entwicklung des IFA- Werkes-, weiterentwickelt wurde und ab 1996 bis 2013 unter der Bezeichnung „Vario“ in Produktion war.

Bereits 1994 wurden NLG und EGL zu 100% Tochtergesellschaften der Daimler-Benz AG und firmierten ab 1999 einheitlich als DaimlerChrysler Ludwigsfelde GmbH. Mit dem auch in Ludwigsfelde entwickelten Compact Van „Vaneo“ entstand ab 2002 eine erweiterte Produktpalette. Doch bereits 2005 endete dessen Fertigung wieder. Das Ludwigsfelder Werk wurde ab 2003 für die Produktion der Transportertype „Sprinter“ erweitert und ab 2006 voll für dessen offene Baumusterfertigung benötigt.

Im Jahr 2020 feierte der Standort Ludwigsfelde die Produktion des 1,5-millionsten Fahrzeugs ab 1965. 

Die Mercedes-Benz GmbH, so die heutige Bezeichnung, übernahm aber nur einen Teil der Fertigungsstätten des IFA-Werkes. Die Pressenstraße übernahm 1991 die ThyssenKrupp Umformtechnik GmbH. Dazu die Hallen 8 und 11 als Werkzeugbau. Ab 2011 übernahm mit der Gestamp Umformtechnik GmbH Ludwigsfelde ein neuer Eigner. Das Produktionsprofil blieb gleichartig. Neben der Belieferung der Mercedes-Benz GmbH werden Umformteile europaweit geliefert.

Der Komplex des IFA Automobilwerkes gliederte sich in weitere Klein- und Mittelständische Unternehmen auf und wird heute als Industriepark Ost bezeichnet.

 

Der seit 1965 selbständige Betrieb für die Instandsetzung von Strahltriebwerken verliert durch die  Deutsche Einheit 1990 seine Bedeutung als Instandsetzer von Armeetriebwerken. Die MTU übernimmt und gründet die MTU Maintenance Berlin-Brandenburg GmbH im Industriepark West. Instandsetzung und Wartung von Flugzeugturbinen und stationär verwendeten Gasturbinen ist für die 850 Betriebsangehörigen die Hauptaufgabe.

 

Der Erhalt des Industriestandortes und die Erweiterung von Industrie und Handel im großen Maße rund um Ludwigsfelde hat Auswirkungen auf die Stadt. Mit knapp 30 000 Einwohnern ist sie ständigem Wachstum unterworfen. Ein Industriestandort mit Langzeitcharakter.

1953  Dieselameise

1955  Pitty

1957 Rennbootmotor RM 175

1958 Strahltriebwerk TL 014

1965 letzter Allrad-Personenwagen P3

1965  erster W50

1991  Transporter  T2

2018  Der Sprinter

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